May
06

Wie im richtigen Leben?


Es klingelt. Lautstark und eindringlich, offenbar steht jemand auf dem Klingelknopf. Als ich jedoch die Tür öffne, ist niemand da und über den Rufer meldet sich auch keiner. Ich sehe allerdings, dass meineNachbarn ebenfalls vor der Tür stehen - offenbar hat jemand bei uns allen geklingelt.
Ärgerlich schließe ich die Tür und sauge weiter. Aber schon nach wenigen Minuten klingelt es wieder. Als ich diesmal öffne, steht ein würdiger Herr mit Aktenmappe vor mir. "Frau Eva Mustermann?" fragt er mich streng.
Ich frage zurück: "Wer sind Sie denn überhaupt und warum klingeln Sie bei mir?"
"Ich möchte Frau Eva Mustermann sprechen! Sind Sie das?" Auf meine Frage geht der Herr überhaupt nicht ein.
"Ja, aber ..."
"Ich darf dann mal eintreten", stellt der Herr fest und läßt seinen Worten die Tat folgen. Ohne Zögern marschiert er ins Wohnzimmer, öffnet die Mappe und zieht etliche Papiere heraus. "Ich bin Müller von der Firma Hmbldmbl (so verstehe ich das zumindest) und bringe Ihnen die Unterlagen für Ihre neue Geldanlage."
Ich habe überhaupt keine Geldanlage geplant und auch nichts angefordert - und das sage ich ihm auch. Er geht nicht darauf ein.
"Sie sehen hier, die Rendite ist absolut einmalig und im gesamten Wertpapierbereich unerreicht. Es ist alles vorbereitet, Sie brauchen nur zu unterschreiben. Ich darf dann mal ..." Während ich mich frage, wer ihm seine Unverschämtheiten eigentlich erlaubt - ich ganz sicher nicht - greift er sich meine Handtasche und zieht meine Kontokarte heraus. "Ich trage dann mal eben Ihre Kontonummer ein ..."
Jetzt bin ich ernstlich sauer. "Raus!"
"Dann fehlt eigentlich nur noch Ihre Unterschrift ..."
Ich reiße ihm Handtasche und Karte aus der Hand und weise zur Tür. "Raus, oder ich rufe die Polizei!"
Er schaut mich mißbilligend an. "Ich frage mich wirklich, wo Sie Ihre Manieren herhaben. Da macht man Ihnen ein einmaliges Angebot ..."
"RAUS!" Ich packe den Herrn bei Schultern und schiebe ihn auf dir Tür zu. Dort bleibt er stehen und meint: "Also die feine englische Art ist das ja .." RUMS! Mehr höre ich nicht, ich habe ihm die Tür vor der Nase zugeknallt.

Keine zwei Minuten später klingelt es wieder. Diesmal steht ein junges Mädchen vor der Tür und fällt mir um den Hals: "Ich will dein Freund sein!"
Hä? "Ich kenne Sie doch überhaupt nicht", protestiere ich.
"Das ist doch egal, wenn wir Freunde sind, erfährst du eh alles über mich."
Daran bin ich aber nicht interessiert. "Nein", sage ich. Sie zieht einen Flunsch. "Mann, bist du ne Zicke! Mir fehlen doch nur noch 13 Freunde!"
Die soll sie sich woanders holen. Ich schließe die Tür, höre aber durch die Tür hindurch, wie sie bei der Nachbarin klingelt und auch dort lautstark ihr "Ich will dein Freund sein!" schmettert.

Um weiteren Belästigungen zu entgehen - und weil ich kein Brot mehr habe - gehe ich erstmal einkaufen. Beim Bäcker treffe ich eine alte Freundin und wechsle ein paar Worte mit ihr. Sie erzählt voll Stolz, dass ihr Sohn sich bereits nach einer Lehrstelle umsieht und es ihrer Katze endlich besser geht. Ein Mann hinter uns drängt sich dicht an uns, um kein Wort zu verpassen und nörgelt dann: „Meint ihr tumben Hausmuttis echt, dass uns interessiert, wie´s der Katze geht?“ „Außerdem sind Leute, die Katzen als Haustiere haltetn, Tierquäler“, mischt sich eine Frau von hinten ein. „Und überhaupt – ihr Muttis müßt immer eure Kinder hetzen, wie?“ schnauzt der Kunde, der gerade bezahlt hat. „Lass deinen Sohn mal sein Leben genießen, du Trutsche, arbeiten muss der noch lange genug!“ Dann wendet er sich an den Mann hinter uns: „Und du brauchst hier gar nicht mit deinem Bayern-Shirt zu flanieren. Weiß doch jeder, dass das ein Scheiß-Verein ist!“
Er geht und ich bin dran. Ein Kartoffelbrot hätte ich gerne. „Aber das Weißbrot ist doch viel günstiger“, meint die Verkäuferin. Mir egal. Ich bin gegen Weizenmehl allergisch. Das kümmert die Verkäuferin jedoch nicht. „Vergleichen Sie doch erstmal die Preise, bevor Sie etwas kaufen.“
„Geben Sie mir jetzt mein Kartoffelbrot“, verlange ich und sie zuckt die Achseln und tut es.

Obst wollte ich noch. Also auf in den Supermarkt. Ich greife zu den Orangen, da hält mir ein Angestellter eine Kiste Erdbeeren hin. „Die sind heute im Angebot!“
Eine komplette Kiste bekomme ich nicht leer, bevor die Früchte zu gammeln beginnen. „Nein danke“, sage ich und halte die Sache für erledigt. Doch er hält mir die Kiste weiterhin vor die Nase. „Sind Sie sicher, dass Sie keine wollen?“
„JA!“ Er zuckt die Achseln. „Dann bestätigen Sie bitte, dass Sie wirklich keine Erdbeeren möchten.“
„Ich möchte wirklich keine Erdbeeren haben!“ Endlich hat er begriffen und wendet sich anderen Kunden zu.

Ein Regal weiter steht eine Dame mit 5-Kilo-Packs Reis. Eins davon legt sie mir im Vorbeigehen in den Wagen. „Was soll das, ich will das doch nicht.“ „Ach?“ meint sie nur. „Dann legen Sie den Sack einfach zurück.“ Während ich das Trumm mühsam ins Regal zurückwälze, drängt sie dem nächsten Kunden einen Sack Reis auf.

Endlich an der Kasse. Vor mir zwei, hinter mir gleich darauf drei Leute. „Das ist doch ein Beschiß hier!“ schnauzt ein Herr hinter mir. „Immer stehen die anderen als erster an der Kasse!“ „Stimmt“, pflichtet ihm eine Dame zu. „Ich kenne Supermärkte, da steht man öfter als erster an der Kasse als hier! Alles Ausbeuter!“
„Dann geht doch zu dem Markt“, ruft ein alter Herr genervt. Sofort schreit die Dame los: „Das geht dich doch gar nichts an, ich kaufe ein, wo ich will! Hau lieber ab, so alte Säcke wie dich brauchen wir hier nicht!“

Ich seufze, bezahle, gehe nach Hause, schalte den Computer ein und gehe ins Internet. Dorthin, wo die Menschen freundlich zueinander sind und Rücksicht aufeinander nehmen. geschrieben am 06.05.2015 von Masmiie

Schlagwörter

internet, rücksicht, freundlichkeit

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Kommentare von anderen Usern

Avatar Masmiie schrieb am 09.05.2015 folgenden Kommentar:
Genau, gemeint waren die Menschen in diversen Chats, die Telefonanrufe von Call-Centern und die aufdringliche Werbung im Internet :)

Avatar krebs77 schrieb am 09.05.2015 folgenden Kommentar:
Das hast du sehr gut wiedergegeben.
Ich habe gleich nach den ersten Sätzen geahnt worauf du hinaus willst.
Was wäre wenn die Menschen sich im Real Life genau so benehmen würden wie im Internet.
Ich habe schon oft mit *Menschen* geschrieben die überall Beschiss wittern oder meinen sie müßten sich unflätig über Jemanden oder Etwas äussern den oder das sie gar nicht kennen und darum gebeten man möge sich doch bitte zügeln.Die Antworten brauche ich hier wohl kaum wiedergeben :(

Avatar peter62er schrieb am 06.05.2015 folgenden Kommentar:
Klasse geschrieben, schade dass es nur 952 Wörter sind. Wäre das ein Buch... hätte ich es gekauft ! :-)