Feb
11

nicht ohne mein Lieblingsbuch


Da soll es einmal eine junge Frau gegeben haben, die zum Zirkus wollte. Dompteuse wollte sie sein, oder Zauberer - aber weder die Tiere noch die Karten taten, was sie wollte. Da begann sie zu schreiben - und entdeckte, dass das ist, als könnte man zaubern. Dann bekommen Pferde sechs Beine und Löwen können sprechen, eine Großmutter sitzt auf dem Dach und ein Briefträger schreibt die Briefe zum Austragen selbst.

Die Frau heißt Gina Ruck-Pauquét und was bei ihrer Zauber-Schreiberei herauskam, nennt sich Sandmännchens Geschichtenbuch. Darin finden sich sechzig kleine Geschichten, die zum Vorlesen jeweils nur wenige Minuten benötigen. Die Helden der Geschichten sind ebenfalls klein: Der kleine Nachtwächter, der kleine Stationsvorsteher, der kleine Zauberer, der kleine Schornsteinfeger, der kleine Briefträger und der kleine Zoowärter. Keiner hat einen Namen, nur einen Beruf und das Adjektiv klein fehlt niemals.

Dieses Buch hatte ich als Kind und habe es geliebt. Als ich meinem Sohn daraus vorlesen wollte, konnten wir es nicht finden und beide Kinder versicherten mir, dies Buch nie gesehen zu haben - demnach war wohl meine Schwester schneller als ich ;). Ich beschaffte es also aus dem Internet (gebraucht) neu und 2 Minuten, nachdem es ankam, saß ich bereits da und las Spatz die erste Geschichte vor.

Seitdem liebt er das Buch. Er hatte ebenso gespannt wie ich auf die Ankunft gewartet, die erste Geschichte hat ihn sogleich in den Bann gezogen und mittlerweile gibt es keine Überlegung mehr, woraus ich abends vorlese. Sein Favorit ist der kleine Stationsvorsteher, ob er nun eine Kuh mittels Geigenmusik von den Gleisen holt, ein 5 km vor der Station herausgefallenes Wollknäuel per Fahrrad zurückholt und es dabei aufwickelt oder einen herrenlosen Zug mittels Hahnenkraft aufs Abstellgleis schiebt. Und die Geschichte über die drei, die er beaufsichtigt, da die Bäuerin mit dem Zug zum Markt gefahren ist, liebt Spatz ganz besonders. Die "drei" sind ein Kind, ein Hund und ein Schwein und sie tun nie das, was der kleine Stationsvorsteher von ihnen erwartet. Beim Abschied ist er dann so verwirrt, dass er das Schwein streichelt, dem Kind auf den Rücken klopft und dem Hund die Hand gibt. Jedes Mal kichert Spatz dabei und fordert mich dann auf, die Sache richtig zu stellen.

Ich liebe es, Spatz daraus vorzulesen, denn dabei werden in mir Kindheitserinnerungen wach. Und als Spatz vor einigen Tagen mit einem Krupp-Anfall ins Krankenhaus kam, nahm ich das Buch mit. Schon im Behandlungsraum forderte er gestenreich (sprechen konnte er ja nicht) das Vorlesen ein. Und während wir darauf warteten, dass die Cortisongabe wirkt und er mit Adrenalin inhalierte, hörte er den heiteren kleinen Geschichten zu und beruhigte sich allmählich. Als wir dann ein Zimmer bekamen und er endlich verkabelt, aber mit ruhigem, leisem Atem im Bett lag, fielen ihm fast die Augen zu - aber eine Gute-Nacht-Geschichte mußte noch sein. In der fremden Umgebung war das doch etwas Vertrautes. Und als wir am nächsten Tag entdeckten, dass im Spielzimmer der Kinderstation eben dieses Buch zu finden ist, empfand Spatz das Krankenhaus auch nicht mehr als gar so fremd.

Ich erinnere mich an eine Dame, die sich über unsere vielen Bücher aufregte und fragte, warum wir nicht in die Leihbücherei gingen. Ganz einfach - weil es Bücher gibt, die man immer wieder lesen will, obwohl man sie bereits auswendig kann - Spatz verbessert mich jedes Mal, wenn ich mich verlese. Die einfach vertraut sind, die eine Art von Geborgenheit vermitteln und die man auch noch Jahre später immer wieder gerne in die Hand nimmt - auch und vielleicht gerade dann, wenn man schon viel zu "alt" dafür ist. So ein geliebtes Buch ist eben weit mehr als nur Lesestoff. geschrieben am 11.02.2015 von Masmiie

Schlagwörter

sandmännchen, ruck-pauquét, geschichtenbuch, vorlesen

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Kommentare von anderen Usern

Avatar tommixyz schrieb am 26.02.2015 folgenden Kommentar:
Stimmt - so ein Buch hat fast jeder - jedenfalls die Generationen, die noch Bücher statt Kedl hatten.....