Nov
26

feige und egoistisch


Jetzt werde ich mich einmal selbst zitieren. Ich habe nämlich vor zwei Wochen in einem Umfrageportal eine interessante Frage entdeckt: Was denkst du über Suizid?

Diese Frage wurde von einem User eingestellt und andere User konnten darauf mit einer eigenen Meinung antworten. Als ich diese Frage fand, gab es schon etliche Meinungen dazu - und die zielten alle auf dasselbe ab: Suizid ist feige und egoistisch. Feige, weil man sich dem Leben nicht stellt und egoistisch, weil man nicht an den Schmerz denkt, den man anderen zufügt. Wobei ich es auch feige von der Umwelt finde, dem Kranken (ein gesunder Mensch denkt nicht an Suizid) nicht zu helfen und egoistisch, vom Betroffenen zu erwarten, seine Qualen weiter zu ertragen, nur damit die Umwelt nicht leiden muss.

Dem Feige und egoistisch konnte ich mich absolut nicht anschließen: Demzufolge fiel meine Antwort ziemlich ausführlich aus:

Sonderbar, wenn jemand nach langer, schmerzhafter Krankheit stirbt, sagt man, er/sie hats jetzt wenigstens überstanden. Bei Suizid, gerade wenn Depressionen dahinterstecken, heißt es, wie feige. Auf die Idee, dass Depression ebenfalls eine lange und überaus schmerzhafte (seelisch wie körperlich) Krankheit ist, kommt offenbar keiner. Und da ist auch mit Zusammenreißen nichts getan - bei einer Depression ist die Signalübertragung im Gehirn gestört und das läßt sich mit den inneren Schweinehund besiegen ebensowenig beseitigen wie eine Querschnittslähmung.

Und wie ein Gelähmter sich manchmal als Belastung für seine Familie empfindet, sind auch depressive Menschen oft überzeugt, dass es ihren Lieben ohne sie besser gehen würde. Somit ist der Suizid weder feige noch egoistisch, sondern aus dem Wunsch entstanden, der Familie nicht mehr zur Last zu fallen. Gerade das kann ich selbst nachvollziehe. Mir wurde von angeblich sachverständigen Personen schon mehrmals vorgeworfen, dass es meinen Kindern und meinem Mann ohne mich besser gehen würde. Als besagten Personen dann klar wurde, dass ich schon versucht habe, da Abhilfe zu schaffen, bekam ich prompt zu hören, ob ich denn nicht an meine Kinder denken würde, die mich ja vermissen würden. Mit dem Verstand erfasse ich diese Unlogik, das Gefühl, dass ich besser verschwinden sollte, läßt sich jedoch kaum abschütteln.

Es hieß dann auch, dass man ja nicht wollte, dass ich verschwinde, sondern nur, dass ich nicht mehr depressiv sei. Wieder der Vergleich - als sagte man einem Gelähmten, es sei ja alles gut, er müsse sich nur zusammenreißen und wieder laufen. Das geht ebensowenig wie sich eine Depression einfach abschütteln läßt, also bleibt nur der Suizid als Ausweg.

Übrigens, kaum jemand, der Depressionen hat, will wirklich sterben. Er will nur, dass es aufhört, irgendwie. In der Regel ist da eine Stimme im Kopf, die ständig sagt: Du machst alles falsch - du kriegst nichts gebacken - du tust nicht genug (selbst wenn man 18 Stunden am Tag nur arbeitet) - du bist an allem schuld - du bist nichts wert und verdienst nicht zu leben. Wenn dann die Außenwelt auch noch zustimmt, wie soll man dann auf die Idee kommen, dass Suizid der falsche Weg ist? Die anderen sind ja offensichtlich auch dafür.

Suizid ist die allerletzte Lösung, nachdem ein depressiver Mensch bereits alles andere probiert hat. Das ist dann weder feige noch egoistisch. Höchstens von der Umwelt, die nicht in der Lage war, hier rechtzeitig zu helfen.

Gibt es eigentlich ein Gesetz, dass einen zwingt, Schmerzen zu ertragen? Von einem Krebskranken im Endstadium würde niemand erwarten, dass er auf das schmerzstillende Morphium verzichtet, um nicht als feige zu gelten. Die seelischen Schmerzen einer Depression zu lindern - auch mit Hilfe von Therapeuten und bioneural wirkenden Medikamenten - gilt als feige. Wieso? geschrieben am 26.11.2016 von Masmiie

Schlagwörter

feige, egoistisch, suizid, verschwinden, depression

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Kommentare von anderen Usern

Avatar Schlappi schrieb am 17.12.2016 folgenden Kommentar:
Ein wahnsinnstoller Beitrag, danke Masmiie! Suizid ist immer ein Hilferuf. Jemand braucht Hilfe und keiner in der Umgebung merkt das - da ist der Suizid dann der letzte Ausweg um vielleicht doch noch ein bißchen Aufmerksamkeit zu erhalten. Manchmal funktioniert es und man bekommt Hilfe. Leider hilft die Hilfe nicht immer und das Leiden geht weiter. Auch mit der fatalen Gedankenspirale von der Stimme im Kopf, die Du so realistisch beschrieben hast.
Ich wünsche allen Betroffenen einen Helfer, der das Problem rechtzeitig erkennt und wirklich nützliche Hilfe bringt!

Avatar larimar schrieb am 15.12.2016 folgenden Kommentar:
Du sprichst mir aus der Seele.Mein Sohn hat sich mit 15 das Leben genommen.Ich würde niemals sagen er war egoistisch und feige.Seit dem habe ich die Depressionen und weiss leider nur zu gut, dass viele denken es ist keine Krankheit..

Avatar kaptain3932 schrieb am 15.12.2016 folgenden Kommentar:
Suizid ist niemals feige, absurd ....etc .etc .etc
Meine Frau hat es mehrmals versucht
Es war ein Schrei .... und oft hört mann nicht wenn eine Person uns um Hilfe bettet

Avatar Senator67 schrieb am 14.12.2016 folgenden Kommentar:
Wie ladaci schon schrieb, wird das Thema über die Weihnachtstage wieder extrem auftreten. Bei Feuerwehr und Rettungsdienst ist bei uns extra ein Seelsorger zu den Diensten dabei. Leider wird der auch dieses Jahr wohl wieder viel zu tun haben.

Avatar ladaci schrieb am 26.11.2016 folgenden Kommentar:
Gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit hat Suizid Hochsaison.
Dabei geht es vermutlich nicht allein um attestierte Depression, sondern auch um depressive Phasen, wenn man das Fest der Liebe ohne selbige verbringen muss.

Wieder mal top geschrieben, mas!