Hartz IV in der Familie: Jobcenter setzt Schüler unter Druck

frisbee
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Donnerstag 14. November 2013, 18:44  

Obwohl sie zur Schule gehen, werden zwei Kinder in Niedersachsen vom Jobcenter wiederholt zu Beratungen geladen - weil ihre Eltern Hartz IV bekommen. Erscheinen sie nicht, drohen Sanktionen. Und wer sein Zeugnis nicht zeigen will, macht sich verdächtig.

Die Mutter ist so wütend, dass sie sich mit dem Jobcenter anlegt und so verängstigt, dass sie in der Presse nicht ihren richtigen Namen lesen will. "Aber irgendjemand muss sich ja mal trauen", sagt sie.


Maria K. hat zwei Söhne, 16 und 17 Jahre alt. Beide haben gute Noten und möchten Abitur machen. Der Ältere will Englisch und Literatur studieren. Die Mutter, 40 Jahre alt, arbeitet als Altenpflegerin, ihr Mann in der Landwirtschaft. Das Geld ist knapp. Die Familie muss das Einkommen mit Hartz IV aufstocken.

Seit ihrem 15. Geburtstag bekommen ihre Söhne Post vom Jobcenter im niedersächsischen Nienburg. Nach dem Sozialgesetzbuch gelten Jugendliche ab 15 Jahren als erwerbsfähig. Sie müssen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Gehen sie noch zur Schule, wird in der Regel einmal im Jahr um einen Nachweis gebeten.

Die Söhne der Familie K. werden wiederholt zum Beratungsgespräch ins Jobcenter eingeladen, zuerst berichtete die "Junge Welt" über den Fall. Man wolle "Stellengesuche und vermittlungsrelevante Daten besprechen", heißt es. Im Juli sollen sie zum Beispiel zu einem Termin erscheinen, im Oktober auch.

Es sind keine freundlichen Briefe, findet die Mutter. Das Amt verlangt Zeugnisse, Lebenslauf, Bewerbungsunterlagen. Die Familie fühlt sich bevormundet. Im Gespräch fragt der Arbeitsvermittler den Sohn, ob sich die Schulausbildung lohne. Dann spricht er von "Familienverantwortung", so erinnert sich die Mutter.

"Dieser Vorwurf ist absurd"

Schließlich schreibt die Frau einen Beschwerdebrief. Den Termin Anfang Oktober sagt sie ab. Ihre Söhne würden noch bis zum Jahr 2016 und 2017 das Gymnasium besuchen. Es gebe kein Interesse an einem Job. Und kein Recht, die Noten einzusehen. Sie schreibt: "Als Anlage sende ich Ihnen in Kopie die Schulbescheinigungen."

Im Briefwechsel, der SPIEGEL ONLINE vorliegt, kündigt das Jobcenter gegenüber dem Sohn an, die Unterstützung für die Familie für drei Monate zu mindern. Denn bisher sei "kein wichtiger Grund mitgeteilt, der Sie daran gehindert hat, den Termin wahrzunehmen". Das Amt schreibt, es komme vor, dass Schüler zum Ende der Schulzeit schwächer würden.

"Dieses Misstrauen gegenüber Hartz IV-Empfängern ist unerträglich", sagt Matthias Büschking, Landespressesprecher des Sozialverband Deutschland. "Zwischen jeder Zeile wird den Schülern gesagt: Wir glauben nicht, dass ihr das Abi schafft." Büschking sind ähnliche Fälle aus seinen Beratungsstellen bekannt.

Es geht um den unterschwelligen Vorwurf, dass Kinder aus Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften schlechtere Schüler sind. Und um die Frage, ob Jugendliche in die Lehre oder auf den Arbeitsmarkt gedrängt werden sollen. Schon vor zwei Jahren gerieten Jobcenter in Hessen und Niedersachen deshalb in die Kritik. Ihnen wurde vorgeworfen, Noten zu kontrollieren und Schüler in eine Ausbildung zu drängen.

"Dieser Vorwurf ist absurd", sagt Daniela Meyer, Bereichsleiterin im Jobcenter Nienburg. "Wir setzen niemanden unter Druck. Das Jobcenter will Jugendliche unterstützen, den höchstmöglichen Abschluss zu erreichen", sagt sie. Daher würden Schüler frühzeitig eingeladen. Bei einer allgemeinen Meldepflicht müssten diese Termine auch wahrgenommen werden.

Jugendliche, die ein wenig 'Anschub' brauchen

Auch in Berlin offenbart eine Dienstvereinbarung aus dem Mai 2013, wie in Jobcentern mit Heranwachsenden umgegangen werden soll. Darin heißt es: Zur Sicherung des Fachkräfteangebots sollte "noch stärker als bisher die vollständige Erschließung des Potentials ausbildungssuchender junger Menschen" berücksichtigt werden.
Immer wieder sollen die Jobcenter die Kinder von Hartz IV-Empfängern einladen, möglichst mit einem Nachweis von Schulleistungen. "Es gibt durchaus Jugendliche, die ein wenig 'Anschub' brauchen und nur auf verbindliche Einladungen mit Rechtsfolgebelehrung reagieren", sagt Uwe Mählmann, Pressesprecher der Berliner Agentur für Arbeit.

Wer seine Noten nicht sagen möchte, macht sich in Berlin verdächtig: "Unsere Erfahrung zeigt, dass Jugendliche, die ernsthaft an einer Ausbildung interessiert sind, kein Problem damit haben, ihr Zeugnis zum Beratungsgespräch mitzubringen", so Mählmann.

Auch in Hamburg wurde einer Familie vom Jobcenter die monatliche Aufstockung um zehn Prozent gekürzt. Begründung: Die 16-jährige Tochter habe einen Beratungstermin nicht wahrgenommen. "Dabei war bekannt, dass das Mädchen Schülerin war", sagt eine Arbeitsvermittlerin, die in diesem Amt arbeitet. Es gebe in vielen Bundesländern die Anweisung, die Hilfsbedürftigkeit zu verringern und genau zu schauen, ob sich ein höherer Schulabschluss oder doch eher eine Lehrstelle empfiehlt. "Intern sind wir aufgefordert, wenn möglich die Schulnoten abzufragen und ins System einzutragen", so die Mitarbeiterin. "Das wirft schon die moralische Frage auf, ob es notwendig ist, Kinder so unter Druck zu setzen."

gesamter Artikel Quelle:
http://www.spiegel.de/schulspiegel/krit ... 33418.html
Zuletzt geändert von frisbee am Donnerstag 14. November 2013, 18:47, insgesamt 1-mal geändert.

Morrigan
Primus-Stammgast
Beiträge: 375
Primera-Remote an Morrigan

Donnerstag 14. November 2013, 20:21  

[quote]Es geht um den unterschwelligen Vorwurf, dass Kinder aus Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften schlechtere Schüler sind.[/quote]

woher kenne ich das? Ach ja, von mir selber :D Meine Mutter ist langzeitarbeitslos und verdient sich nebenbei ein paar Euro als Renigungskraft. Muss aber eben aufstocken. Als ich in der 9. Klasse war, musste meine Mutter mich zum zuständigen JobCenter mitschleifen. Inkl. Zeugnisse Schulbescheinigungen ect. pp.
Gut, ich habe das Zeugnis rausgerückt. Mir wurde allen Ernstes nahegelgt, ich solle eine überbetriebliche Ausbildung machen in einem Berufbildungswerk von eher zweifelhaftem Ruf. Sozialassistenz, da ich damals Interesse an der Krankenpflege bekundet habe. Wenn wir aber mal ehrlich sind, ist ein Sozial-assistent nichts Halbes und nichts Ganzes. man müsste danach noch eine qualifizierende Ausbildung anschließen. Fakt war allerdings auch, an meinen Noten war abzusehen, dass ich durchaus in der Lage bin, einen besseren Schulabschluss zu erreichen ... habe ich ja dann auch, erweiterter Realabschluss (mit 1,5 :whistling: ) Und ich sollte trotzdem in diese Einrichtung abgeschoben werden, weil ich wollte noch das Abi dranhängen. Das ging in den Augen der Beraterin ja gar nich. Wozu sollte ich Abitur machen wollen? Ich hätte ja eh keine größeren Chancen dadurch, lieber gleich in eine Ausbildung und wenns erst mal nur eine überbetriebliche wäre.

Da ich mit 15 bzw. 16 durchaus meine eigene Meinung dazu habe, habe ich natürlich die Klappe aufgemacht :D Ich habe sie gefragt mit welchem Recht sie voraussetzt, dass ich nicht in der Lage sein würde SELBER zu entscheiden, was am Besten für mich ist, nur weil ich aus Sozialschwachen Verhältnissen komme?
Da wurde dann nur mit der Schulter gezuckt, und die Frage blieb unbeantwortet :D

Fakt ist, es herrscht ein Schubladen denken, und es soll auch bei den Juniors gespart werden wo es nur geht. Denn das Einkommen aus einer betrieblichen Ausbildung kann man ja anrechnen, und dann ist der Bedarf ne mehr so hoch, nech ;) aber den Zahn hab ichdenen gezogen, und ich rate allen Eltern, ihre Kinder zu ermutigen, ihren eigenen Weg zugehen. Das nützt viel mehr, als sich das von einer behörde vorschreiben zu lassen.
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