Dec
07

113 cm Menschlein


So ein Menschlein kann so richtig winzig sein. In unserem Fall mißt das Menschlein 113 cm und wiegt gerade mal 17 Kilo. Selbst mir macht es keine Mühe, das leichte Menschlein eine Weile zu tragen. Wenn es lächelt, ist das Lächeln irgendwo zwischen Grinsen und Schmunzeln angesiedelt und so unglaublich süß, dass man das Menschlein gleich auf den Schoß ziehen und knuddeln möchte.

Manchmal macht das Menschlein da auch mit. Häufiger reißt es sich ungeduldig los und erzählt mir weiter, was es zu sagen hatte. Dass nämlich der Nikolaus heute in der Schule war und einen ganz komischen Stab in der Hand hatte. Und ein großes Buch. "Weißt du, was da drin steht, Mama?" Ich weiß es. Da stehen die Namen aller Kinder drin und ob sie brav waren. Das Menschlein nimmt mir das ab und überlegt. "Dann darf ich Jasmin nicht mehr dauernd treten, sonst kommt der Nikolaus nächstes Jahr nicht zu mir, sondern der Crampus." Zwar ahnt das Menschlein längst, dass hinter dem Nikolaus wer anders steckt, aber vorsichtshalber nimmt es die Sache ernst.

Das Menschlein hat winzige Hände. Zu Fäusten geballt verschwinden sie in meiner Faust komplett. Trotzdem tun die Fäustchen weh, wenn sie mir mit Wucht in die Rippen gestoßen werden. "Mama, jetzt hör mir doch mal zu!" Erstaunlich die Kraft, die dahinter steckt. Das Handgelenk kann ich mit Zeigefinder und halben Daumen umspannen, der Unterarm ist gerademal so lang wie meine Hand. Aber damit haut das Menschlein zu wie ein Großer.

Das Menschlein zappelt vor Ungeduld und ist kaum anzuziehen. Die Schule fängt doch gleich an, aber erst müssen die Stiefel inspiziert werden. So ein Menschlein von sechs Jahren glaubt noch fest an den Nikolaus. Sollte man meinen. Aber kaum hat es das Riesen-Überraschungs-Ei entdeckt, höre ich: "Mama, du bist bestimmt selber der Nikolaus, ich habe doch gesehen, wie du das gekauft hast!" So ein Menschlein ist schließlich nicht dumm.

Endlich läßt es sich anziehen. Kaum zu glauben, dass ich mal in dieses Mini-T-Shirt gepaßt habe. Jetzt paßt das Menschlein rein. Es sieht an sich hinunter, stottert sich die Aufschrift zusammen und lacht: "Mama, das ist ja dein Name." Eigentlich wollte es das Shirt ablehnen, weil es zu mädchenhaft ist. Mit Mamas Namen wird es akzeptiert.

Die Hose wird aber total abgewiesen. Die zieht das Menschlein nur zuhause an. "Mama, die ist total uncool!" Das Menschlein wühlt im Schrank, findet eine "coole" Jeans und zieht sich endlich fertig an. Und ich liefere es an der Schule ab und sehe ihm nach, als es hineingeht. Der Schulranzen ist fast größer als das Menschlein, doch es trägt ihn mit Leichtigkeit.

So ein Menschlein sieht aus wie ein Ding, das mal ein Mensch werden will. Darum eben auch ein Menschlein. Es ist mehr als einen halben Meter kleiner als ich und wiegt - muß ich das gestehen? - etwa ein Achtel von mir. Aber man täusche sich nicht. Das Menschlein weiß genau, was es will, es hat seine eigenen Ansichten und Wünsche und setzt sie auch durch. Es ist schwer zu glauben, wenn man das Menschlein sieht, aber es muß akzeptiert werden.

So ein Menschlein will nicht erst Mensch werden. Es ist bereits ein vollständiger Mensch - nur ein bißchen kleiner als die meisten. geschrieben am 07.12.2012 von Masmiie

Schlagwörter

kinder, erwachsenwerden, loslassen

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Kommentare von anderen Usern

Avatar BlackPanther schrieb am 18.08.2017 folgenden Kommentar:
Das stimmt - Außerdem zählt die Geißtige größe viel mehr für mich als Die Körperliche.